Mit Urteil vom 5. September 2024 (EuGH, C-109/23) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) klargestellt, dass notarielle Beurkundungen von Kaufverträgen, an denen in Russland ansässige juristische Personen beteiligt sind, nicht unter das Verbot der Erbringung von Rechtsberatungsdienstleistungen nach Art. 5n II Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 fallen. Damit beendet der EuGH eine lang bestehende Rechtsunsicherheit für Notare und Mandanten im Kontext der EU-Sanktionsverordnung.
Dem Verfahren lag ein geplanter Verkauf einer Eigentumswohnung in Berlin zugrunde, die einer in Russland ansässigen Gesellschaft gehörte und an zwei deutsche Staatsbürger verkauft werden sollte. Der beauftragte Notar lehnte die Beurkundung des Kaufvertrages ab, da er befürchtete, dass die Beurkundung möglicherweise gegen das Verbot der Erbringung von Rechtsberatungsdienstleistungen gemäß Art. 5n II der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 verstoßen könnte. Diese Verordnung verbietet es, für die Regierung Russlands sowie für juristische Personen und Einrichtungen mit Sitz in Russland Rechtsberatungsdienstleistungen zu erbringen, um deren wirtschaftliche Tätigkeit in der EU zu erschweren und Sanktionen gegen Russland zu stärken.
Nach Einreichung einer Beschwerde der Käufer befasste sich das Landgericht Berlin mit dem Fall und legte dem EuGH die Frage vor, ob notarielle Beurkundungen als Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung gelten. In seinem Vorlagebeschluss vertrat das Landgericht die Ansicht, dass die notarielle Beurkundung mangels Dienstleistungscharakters nicht als verbotene Rechtsberatung zu bewerten sei.
Seit Einführung der Sanktionen bestand Unsicherheit, ob notarielle Tätigkeiten wie die Beurkundung von Immobilienkaufverträgen als „Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung“ im Sinne von Art. 5n II der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 gelten könnten. Nach deutschem Recht ist die notarielle Beurkundung von Immobilienkaufverträgen gemäß § 311b Abs. 1 S. 1 BGB zwingend erforderlich. Damit ist die Mitwirkung eines Notars als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes gesetzlich vorgeschrieben. Diese Pflicht zur Beurkundung stellte Notare im Kontext der EU-Sanktionen vor ein Dilemma: Einerseits sind sie zur Beurkundung verpflichtet, andererseits drohten Sanktionen, falls ihre Tätigkeit als verbotene Rechtsberatung eingestuft würde. Eine unbegründete Ablehnung der Beurkundung könnte ihrerseits einen Amtspflichtverstoß nach § 15 Abs. 1 S. 1 BNotO darstellen.
Der EuGH stellte klar, dass notarielle Tätigkeiten – insbesondere die Beurkundung und der Vollzug eines Kaufvertrages – keine Rechtsberatung im Sinne des Sanktionsrechts darstellen. „Rechtsberatung“ im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 bezieht sich auf die wirtschaftliche Erbringung von Rechtsauskünften zur Förderung spezifischer Interessen eines Mandanten. Der EuGH argumentiert, dass das Verbot auf parteigebundene Interessenvertretung abzielt, die darauf gerichtet ist, eine bestimmte Seite im wirtschaftlichen Wettbewerb zu unterstützen. Ziel der Sanktionen sei es, russischen Unternehmen die Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit in der EU zu erschweren und die Umgehung der Sanktionen zu verhindern.
Notare erfüllen jedoch keine parteigebundene Beratungsfunktion. Der EuGH betonte, dass Notare als Amtsträger im öffentlichen Interesse und unter Wahrung strikter Neutralität tätig werden. Ihr Handeln zielt auf die Gewährleistung von Rechtssicherheit und Gesetzmäßigkeit ab und erfolgt im „Interesse des Gesetzes“ – nicht im Interesse der Parteien. Da Notare auch gegen den Willen der Parteien die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Geschäfts verbindlich feststellen können, handelt es sich um eine Aufgabe im Allgemeininteresse und keine „Dienstleistung“ im Sinne der Verordnung.
Obwohl Notare nach § 17 BeurkG eine Beratungspflicht haben und die Parteien über die rechtliche Tragweite eines Geschäfts belehren müssen, handeln sie dabei stets unparteiisch. Im Gegensatz zur anwaltlichen Beratung, die typischerweise im Interesse eines Mandanten erfolgt, wird der Notar im Allgemeinen Interesse tätig. Die Beurkundung eines Kaufvertrages stellt eine zwingende hoheitliche Aufgabe dar, die der Staat den Notaren übertragen hat, um die Wirksamkeit und Rechtssicherheit im Rechtsverkehr sicherzustellen. Wäre diese Aufgabe nicht auf Notare übertragen, müsste der Staat sie durch seine Behörden selbst erfüllen, wie auch das Bundesverfassungsgericht feststellte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.6.2012 - 1 BvR 3017/09).
Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit für Notare, die Immobilienkäufe mit russischen Beteiligungen beurkunden. Der EuGH betont, dass Tätigkeiten wie die Auszahlung des Kaufpreises, die Löschung von Belastungen oder die Grundbuchumschreibung ebenfalls nicht als verbotene Rechtsberatungsdienstleistungen anzusehen sind. Für die notarielle Praxis sind die folgenden Aspekte besonders hervorzuheben:
Das EuGH-Urteil bringt eine bedeutsame Klarstellung im Umgang mit EU-Sanktionen und der notariellen Praxis. Die Entscheidung stärkt die Position der Notare als unparteiische Amtsträger und bietet eine verlässliche Orientierung im Umgang mit Immobiliengeschäften, die russische Beteiligungen umfassen. Der EuGH betont, dass diese Auslegung durch den normativen Kontext bestätigt wird. Während Immobiliengeschäfte mit russischen juristischen Personen in der EU erlaubt bleiben, könnte das Erfordernis der notariellen Beurkundung in bestimmten Mitgliedstaaten zu praktischen Hindernissen führen, was nicht im Sinne des Unionsgesetzgebers gewesen sei. Der Zweck der Verordnung besteht darin, die Geschäftstätigkeit russischer Unternehmen zu erschweren, nicht jedoch Immobilienverkäufe zu verbieten. Auch bei der Vollziehung des Kaufvertrags bleibt der Notar unparteiisch, sodass diese Tätigkeiten ebenfalls keine Dienstleistungen im Sinne der Verordnung darstellen.