Die Stadt Tübingen hat eine ökologische Vorreiterrolle eingenommen und zum 1. Januar 2022 eine Verpackungssteuersatzung erlassen, bei der sie den Verbrauch nicht wiederverwendbarer Verpackungen sowie nicht wiederverwendbaren Geschirrs und Bestecks, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden, besteuert.
Sie erhebt seitdem:
Die Verpflichtung zur Entrichtung der Steuer betrifft den Endverkäufer/Endverbraucher.
Eine Franchise-Nehmerin einer Fast-Food-Kette hatte zunächst einen erfolgreichen Normenkontrollantrag gestellt. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte die Verpackungssteuersatzung mit Urteil vom 29. März 2022 (2 S 3814/20 – juris) für unwirksam erklärt. Hiergegen hatte die Stadt Tübingen Revision eingelegt. Mit Urteil vom 24. Mai 2024 (9 CN 1/22 – juris) hob das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs auf. Die Satzung sei trotz punktueller Verstöße rechtmäßig. Gegen diese Entscheidung legte die Franchise-Nehmerin im Folgenden eine Verfassungsbeschwerde ein, welche erfolglos blieb. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 27. November 2024
(1 BvR 1726/23 – juris), dass die Verpackungssteuer sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß ist.
Das Gericht entschied, dass sich die Stadt Tübingen auf die Steuergesetzgebungskompetenz der Länder für die Erhebung örtlicher Verbrauchersteuern gemäß Art. 105 Abs. 2a S. 1 GG in Verbindung mit
§ 9 Abs. 4 KAG Baden-Württemberg berufen könne und die Verpackungssteuer eine „örtliche“ Verbrauchersteuer im Sinne des
Art. 105a Abs. 2 S. 1 GG darstelle.
Die entscheidende Regelung des § 1 Abs. 1 Alt. 1 der Verpackungssteuersatzung knüpfe die Steuerpflicht an die Abgabe von Einwegmaterial an, das beim Verkauf von Speisen und Getränken „für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle“ Verwendung finde. Damit stelle sie den nach dem Grundgesetz und dem Landesrecht erforderlichen Ortsbezug her, so das Gericht. Das Gericht stellte des Weiteren fest, dass die Örtlichkeit im Sinne der Satzung auch dann gegeben sein könne, wenn die Ware zwar nicht zum „Verbrauch an Ort und Stelle“ des Verkaufs bestimmt seien, der Verbrauch aber typischerweise im Gemeindegebiet erfolge.
Auch im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Alt. 2 der Verpackungssteuer und dem Verkauf von „mitnehmbaren take-away-Gerichten oder -Getränken“ bejahte das Bundesverfassungsgericht die Örtlichkeit. Dabei stützt sich das Bundesverfassungsgericht auf die zuvor vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene verfassungskonforme Auslegung. Steuerpflichtig sei danach nur die Abgabe des Einwegzubehörs für solche Speisen und Getränke, die in der Regel unmittelbar nach dem Erwerb verbraucht werden, weil sich ihre für die Verzehrqualität maßgebliche Temperatur, Konsistenz oder Frische schon nach kurzer Zeit nachteilig verändere. Auf der Grundlage dieser Kriterien können diejenigen mitnehmbaren take-away-Gerichte und -Getränke bestimmt werden, deren Verkauf die Besteuerung auslöse.
Weiter sei die Verpackungssteuer auch materiell verfassungsgemäß. Weder stehe die Verpackungssteuer im Widerspruch mit dem Abfallrecht des Bundes, noch stehe sie der bundesgesetzlichen Regelung des § 12 Einwegkunststofffondsgesetz entgegen, noch sei die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG unzumutbar beeinträchtigt. Zwar liege ein Eingriff in die Berufsfreiheit vor, dieser sei jedoch verhältnismäßig, da die Indienstnahme der Verkäufer geeignet und erforderlich sei und eine Alternative, die die Steuerpflicht an den Verbrauch der Einwegartikel durch die Endverbraucher anknüpfe, nicht praktikabel sei und daher kein gleich geeignetes Mittel darstelle.
Noch im Jahr 1998 entschied das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 07.05.1998 – 2 BvR 1991/95 u. 2 BvR 2004/95 – juris) hinsichtlich einer Verpackungssteuersatzung der Stadt Kassel, dass der von der Steuer ausgehende Anreiz gegenüber den einzelnen Endverkäufern, einer Besteuerung durch Umstellung auf ein Mehrwegsystem oder durch die Rücknahme und stoffliche Verwertung des Einwegmaterials außerhalb der öffentlich-rechtlichen Entsorgung auszuweichen, in Widerspruch zu dem für das seinerzeitige Abfallrecht angenommenen Kooperationsprinzip stehe. Die Satzung sei deshalb mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Dabei wurde auf § 14 Abs. 2 Abfallgesetz 1986 verwiesen. Eine vergleichbare Subsidiaritätsklausel enthält das heutige Abfallrecht des Bundes jedoch nicht mehr. Damit besteht kein Widerspruch mehr zu geltendem Abfallrecht.
Als Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 GG kann grundsätzlich jede Gemeinde frei darüber entscheiden, ob sie eine Verpackungssatzung nach dem Tübinger Modell für sinnvoll erachtet und eine entsprechende örtliche Satzung erlassen möchte. Erwägungsgründe können hierbei insbesondere die Einnahmen für den städtischen Haushalt, die Verringerung der Verunreinigung des Stadtbilds durch im öffentlichen Raum entsorgte Verpackungen sowie das Setzen eines Anreizes zur Verwendung von Mehrwegsystemen sein.
Zu beachten ist, dass Teile der Verpackungssteuer Tübingens rechtswidrig waren und diese Fehler bei der Einführung einer Verpackungssteuer vermieden werden sollten:
Bei der Einführung einer Verpackungssteuer sind zudem die landesrechtlichen Besonderheiten zu beachten, insbesondere die landesrechtlichen Regelungen zur Erhebung örtlicher Verbrauch- und Aufwandsteuern.
Nach einer Umfrage der Deutschen Umwelthilfe aus dem Jahr 2023 prüften damals 24 Städte die Einführung einer Verpackungssteuer,
47 Städte wollten das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde gegen die Verpackungssteuersatzung abwarten, und 48 weitere Städte haben ein grundsätzliches Interesse an der Einführung der Verpackungssteuer gezeigt. Die Ergebnisse zum Stand 2. Mai 2024 finden Sie hier. Nach Bestätigung der Tübinger Verpackungssteuer durch das Bundesverfassungsgericht haben laut weiterer DUH-Umfragen zum Stichtag 28. Januar 2025 bereits 120 Städte Interesse an der Umsetzung signalisiert. Die DUH hat in der Zwischenzeit 402 Städte mit Anträgen aufgefordert, schnellstmöglich ebenfalls kommunale Verpackungssteuern einzuführen. Eine Übersicht der Städte finden Sie hier.
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages begrüßt eine Verpackungssteuer und sieht in ihr ein wirksames Mittel gegen die Vermüllung.
Die Stadt Konstanz hat schon zum 1. Januar 2025 eine Verpackungssteuer eingeführt und verlangt wie die Stadt Tübingen
50 Cent für Becher und Geschirr sowie 20 Cent für Einweg-Besteck.
Es bleibt abzuwarten, ob weitere Städte und Gemeinden dem Tübinger Modell folgen und eine Verpackungssteuer einführen werden. Das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat hierfür Rechtssicherheit geschaffen und bietet den Gemeinden eine wichtige Orientierung für die zukünftige Gestaltung von Verpackungssteuersatzungen.
Katrin Lüdtke
Korbinian Goll